Der Kinematograph Anthology 1909

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So ist die Tonbildbühne die prädestinierteste Volksoper; bei ihr sind alle Faktoren vereint, da bei uns wohl fast in keinem Stadtteil ein Kinotheater fehlt. Aber nicht nur die glückliche Verteilung der Kinobühnen ist gegeben, sondern – was der springendste Punkt ist – das für solche Opernabende notwendige Material ist vorhanden, wenigstens teilweise, nämlich soweit die Solisten- und Orchester-Plattenaufnahmen in Frage kommen. Und welche Solisten findet man in den Katalogen! Solisten, die eine Volksoper sich niemals wird verschreiben lassen können. Da finden wir einen Caruso, Slezak, Tamagno; wir begegnen einer Tetrazzini, Hempel, Farrar, Sembrich; wir können einen Plançon, d’Andrade, Schaljapin in unserem Kinotheater singen lassen. Alle diese Künstler sind nicht nur in ihren Arien grammophonisch verewigt, sondern in ganzen Szenen. Weiter besitzen wir die herrlichsten Chöre der verschiedensten ersten Opernhäuser der Welt; wir besitzen ferner die Aufnahmen erster Orchester, die bekanntesten Werke der Operliteratur wiedergebend. Meine Angaben berechtigen zur Behauptung, dass die Kinobühne die einzige ist, die es wagen kann, Opernvorstellungen zu liefern, wie sie auf der ganzen Welt nicht zu hören sind, weil Engagements der Künstler, die ihr grammophonisch zur Verfügung stehen, selbst bei den erhöhtesten Eintrittspreisen garnicht zu zahlen sind. –

Max Olitzki, Die Musik im Kinotheater, «Der Kinematograph», III No. 137, 11 August 1909.